Ehe ist ein Selbstmordattentat

Wir leben größtenteils in Zweierbeziehungen, auch die Singles, sie bemühen sich zumindest, kaum jemand will wirklich allein sein. Therapiert werden wir aber meistens allein, es sei denn, es geht nun wirklich auf die Scheidung zu und es steht eine Menge – Geld, Kinder – auf dem Spiel.
Der häufig gehörte Rat ist: lauft nicht auseinander, wenn es kompliziert wird, löst eure Probleme.
Ich werde dem gegenüber immer skeptischer. Im Zeitalter der romantischen Liebe finden sich Paare im Hormonsturm, dem Danach sind sie selten gewachsen, es sei denn, zumindest einer der beiden beweist enorme Duldsamkeit und überbrückt die Kluft zwischen Erträumten und Realität. Nur, was passiert dann mit uns? Investieren wir in gelebte Enttäuschung?
Ich sehe mir ein prägnantes Beispiel seit mehreren Jahrzehnten an.
Meine Eltern haben es nie so weit gebracht mit ihrem Leben, wie man aus Startbedingungen und Potential hätte schließen können. Es ist nicht die Rede von einem Maschinisten und einer Verkäuferin sondern von einem Kernphysiker und einer Journalistin. Neidisch mustern sie ihre Umgebung. Da scheint jeder glücklicher, abgesicherter, optimistischer zu sein. Auf die Wende mit allen Brüchen läßt es sich schlecht schieben, es gibt genügend Gegenbeispiele. Ich habe mich lange Zeit über ihre Trägheit gewundert, die Dinge des Lebens konstruktiv anzugehen. Erschöpfung und Unlust, oft auch Ignoranz waren an der Tagesordnung. Dagegen in der Kommunikation ein fortwährendes Gewitter. Ein hackender Satz gibt den anderen. Eine ignorante Tat fordert die nächste heraus. Tödliche Beziehungsdynamik.

Meine Eltern waren ein Abiturpärchen, wie es unterschiedlicher nicht sein konnte. Sie aus zutiefst kleinbürgerlichem Haushalt, aus der Kraftwerksarbeitersiedlung am Dorfrand. Nur Hausfrauen dort, die gegenseitig über Klatsch und Tratsch ihren Spielraum kontrollierten und ihre Männer mittels Genörgel zu „Höherem“ anstifteten. Er als Establishmentkind, aus der ersten Kommunistengeneration kommend, die es geschafft hatte, eine Generation, die sich nun, zumindest in den eigenen Kreisen, an bürgerlichen Werten zu orientieren versuchte.
Er weltfremdes, sportliches Mathegenie, sie schlagfertige, bodenständige Beobachterin und Schreiberin.
Gefunden haben sie sich wahrscheinlich, um es ihren Eltern zu beweisen. Er, um einen Gegenpol zur überdominanten Mutter aufzubauen, einer höheren Tochter mit Machtkalkül und Haaren auf den Zähnen. Sie, um ihrer Mutter zu beweisen, daß sie mehr will, als so schnell wie möglich einen von den Tanzstunden-Dödeln, die ihr als Bräutigam aufgeschwatzt wurden, zu heiraten.
Es wurde trotzdem schnell geheiratet, ich Verkehrsunfall machte es nötig.
Und danach? Viel Fremdheit. Getrennte Wohnungen, die Abmachung, wenigstens einer solle in Ruhe studieren können, was mein Vater dann auch mit allen altstudentischen Männerbund- und Saufritualen nutzte. Meine Mutter läßt sehr schnell alle Pläne vom selbstbestimmten Singleleben fallen (und das wäre möglich gewesen, ich war selten bei ihr) und läßt ihren Kinder produzierenden Körper schuld daran sein. Mein zwei Jahre später geborener Bruder, eine lange verheimlichte Schwangerschaft (damit ihr niemand die Adresse für eine ungefährliche Abtreibung zusteckt?), wird ihr ein und alles.
Mit der Familienzusammenführung nach dem Studium beginnt der mehr als 30jährige Krieg. Da sitzt eine Patchworkfamilie zusammen, die sich längst aus den Augen und aus dem Sinn verloren hatte. Zum einen der Mutter-Sohn-Verbund, zwischen den so schnell nichts kommt. Dann ich als Exotin, der Establishment-Großmutter gerade noch so aus den Fängen gezerrt. Und ein Mann, der sich mit der Familienvater-Rolle mehr als schwertut.
Sämtliche Lebensenergie dieses Paares entgleist. Es wird viel gearbeitet, aber das Heim ist nicht der Rückzugsort zum Schöpfen neuer Kraft sondern die nächste Frontlinie.

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