Nightflight

Die Fahrt zum Nordbahnhof geht schnell, der Tiergartentunnel spart mittlerweile viele Ampeln. Vor mir der Ferrari meines Nachbarn – der mit dem Lächeln und dem Hund. Auch er unterwegs in die Nacht.
Die Party läßt sich zäh an. Ein Privatsender und ein Elektronikhersteller laden ein – es ist schließlich IFA. Der Handyhersteller hat offenbar seiner Programmierabteilung die Einladungen zukommen lassen. Es erscheinen Herden von kleinen, dicken, provinziell aussehenden Männern mit schütteren Haaren und karierten Hemden, die große Unternehmungslust im Blick haben.
Vom Privatsender kommen nur ein paar angestrengt aussehende Ladies, die paarweise noch schnell was trinken, aber bald ins Bett wollen. Beide Parteien haben definitiv keine Lust, sich miteinander abzugeben, obwohl sie zusammen passen würden.
Neben mir eine Gruppe Kastanienalleefräuleins. Fünf Stück, die aussehen, als wären sie aus einer geklont. Derselbe Haarschnit – blond, gestuft, halblang, Pferdeschwanz und dazu Jeans mit schwarzem Spaghettiträgertop und eine lange Muschelkette. (Gut, daß ich meine zu Hause gelassen habe.)
Sie scannen die Umgebung. Wahrscheinlich studieren sie allesamt irgendweine Geisteswissenschaft und sind auf der Suche nach dem nächsten Praktikum.
Dann ein paar schwule Modeljungs und die unvermeidlichen Djs mit angeranzten Trainingsjacken und krummem Rücken. Ein paar dickliche Möchtegernmodels aus dem Umland und drei, vier Semi-Profis. Aber eher von der Fraktion: ich bin zwar nicht mehr ganz jung, aber brauche das Geld trotzdem. Sie amüsieren sich nach kurzem Zögern mit den Herren in den karierten Hemden. So findet jeder Topf seinen Deckel, die Redakteurinnen gehen allein ins Bett und die Programmierer kommen zu ihrem Abenteuer.
Nach Mitternacht reiten dann die Alpha-Männer ein. Der Tag war lang und voller Meetings und so sind sie meistens schon gnadenlos auf irgendwelchen Drogen, ob nun körpereigen – Erfolg resp. verdrängter Mißerfolg – oder chemisch und sie reden und tanzen nur noch mit sich selbst.
Die wirklich heißen Bräute kommen spät und meist schon mit einem Typen, der sie vorher zum Essen ausgeführt hat. Pech für die graumelierten Alphatiere. Die Konkurrenz ist fünfzehn Jahre jünger als sie und hat die messerscharfe Aura kommender großer Karriere. Demnächst werden sie ihnen nicht nur die Frauen sondern auch die Führungsjobs wegschnappen.
Dann irgendwann Mousse T. Er macht noch immer geile Musik, nur keiner ist so recht begeistert. Hier spricht man nicht (mehr?) Techno. Der Club ist zu klein, zu intim, zu hell. Keiner geht aus sich heraus, keiner hat den Raum für große Bewegung. Ich versuche, irgendwie in einen Flow zu kommen, aber ich beobachte zu viel, es geht nicht. Die Musik braucht eine Halle, in der sich eine riesige Masse bewegt.
Ich fahre wieder zurück, das ist keine Gelegenheit, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen. Am Reichpietschufer ist wieder der schwarze Ferrari vor mir. Auch mein Nachbar kommt zurück. Irgendwie sticht mich der Hafer und ich fahre ein kleines Rennen mit ihm. (Wahrscheinlich haben sich eher die Hustentabletten nicht mit dem Cocktail vertragen, daß ich so wagemutig bin, ist sonst kaum meine Art.) So richtig will er aber nicht und mir ist es schnell peinlich und ich höre auf damit.
In der Tiefgarage grüßen wir uns und ich sehe, warum er so vernünftig sein wollte. Er hat ein Mädchen neben sich sitzen, dem er seine ganze Konzentration schenkt. Richtig so.
Und auch hier findet das Töpfchen sein Deckelchen und Lady Jane schließt allein die Tür hinter sich und schaltet den Laptop an, um noch diese Geschichte aufzuschreiben.
Voila.

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