Elvira und der Wolf

Eine Freundin hatte viel von Tarifa versprochen. Wellen, Wolken, Surfer.
Surfer. Waren das nicht diese komischen Typen, die immer ein strickendes Mädel am Strand sitzen haben, das sehnsüchtig aufs Meer sieht, in der Hoffnung, IHN wenigstens einmal auf dem Board zu entdecken? Die an Land kommen und sich erst mal halb aus dem feuchten, verschossenen Neopren schälen müssen, um menschlich zu wirken? (Sie sehen auch dann noch albern aus, wenn der Reißverschluß über der rasierten Brust geöffnet ist, weil ihr Trapez aussieht, als würden sie eine Windel tragen.) Die in ranzigen VW-Transportern pennen und Vegetarier sind, aber kiffen bis zum Abwinken.
Elvira hat eine andere Erinnerung parat: Muskeln, sonnengebleichte Rastalocken, die nach Meer riechen. Entspannte, unternehmungslustige Jungs eben.
Die Realität liegt wie immer dazwischen. Sie tragen mittlerweile fast alle die Haare so kurz wie Jack Johnson und dürfen auch schon mal etwas älter sein.
Und genauso einer hat Elvira vorhin im Technogedröhn seine Lebensgeschichte ins Ohr geraunt. Mittelständischer Unternehmer, Trennung von der Ehefrau vor ein paar Jahren, weil er über was Junges gestolpert ist. Für ihn der Start mit neuer Frau in ein neues Leben. Für die Kleine nur die Durchgangsstation zum Erwachsensein. Vor einem Jahr ist sie dann weitergezogen und hat ihn zurückgelassen. Nun holt er nach, was er ein halbes Leben verpasst zu haben glaubt, bevor ihn das Alter einholt. Arbeitet so wenig wie möglich, surft dafür mehr. Das scheint ihm zu bekommen. Sonnenverbrannt, sehnig, graues Haar, helle Augen. Er heißt Klaus-Dieter, aber ich nenne ihn Wolf, das passt besser zu ihm.
Elvira hat brav das Rotkäppchen gespielt. Sich die Geschichte vom Wolf angehört. An den richtigen Stellen die Stirn gerunzelt, Kulleraugen gemacht, genickt. Diese angepasste Kuh. Als würde sie so eine Geschichte zum ersten Mal hören. Sie konnte sich gar nicht losreißen von seinen Husky-Augen. Und sie hat brav erzählt, wo das Haus von der Großmutter steht. Will heissen, dass Wolf weiß, wo wir heute in Granada übernachten. Wenn der hier aufkreuzt, dann werde ich sehr sehr wütend …

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