Als Zustand durchaus erfahrbar. Aber doch mit so vielen anderen zu verwecheln, die durch unser Fühlen und Sein geistern: Loyalität, Bequemlichkeit, Ergebenheit, Abhängigkeit, Begierde, Wohlwollen, Herrschsucht, Verläßlichkeit, Selbstvergessenheit, Euphorie.
Liebe zu beschreiben, das ist, als würde man in eine UV-Lampe sehen. Da ist was. Licht. Aber doch wieder nicht, weil aus dem Spektrum der Wahrnehmung so weit verschoben. Die vor der bohrenden, wühlenden Selbsterkenntnis von der Seele vermauerte Nische, zu erahnen am Klang der Mauer beim Klopfen.
Im Gegensatz zum Glück das erst erkannt wird, wenn es sich wieder verflüchtigt hat, spürt man sie sofort. An Verhaltensänderungen, körperliche Symptomen. Jeder, den es erwischt hat, kennt das. Und trotz dieser Offensichtlichkeiten wird sie nach ihren Absterben in den meisten Fällen heftig verleugnet.
Ich war ausgehungert, ich brauchte Gesellschaft, wollte versorgt sein, wahrgenommen werden, Sex haben, mich mit meiner Beute sehen lassen etc. Geben wir uns mit der ewigen Unschärfe zufrieden.
LOVE is just another four letter word
Berlin, 37 Grad
Sie sitzen in ihren komfortablen Wohnhöhlen, alle Türen sind weit offen – wie ein Adventskalender zu Weihnachten. Brabbelnde Fernseher sind selten. Authentische Geräusche dominieren die Szene. Kinder, die immer von neuem die Grenzen testen. Telefonate: Frauen beschäftigt mit dem Thema Klamotten. Männer arbeiten sich entnervt an zahlungsunwilligen Kunden oder der klammernden Freundin ab. Das brünstige Gebrüll zweier Schwuler, von denen zumindest einer der Meinung ist, Sex muß weh tun. Abends und nachts Musik, ab und zu das Jauchzen einer Frau. Und aufbrandender Streit, immer mal wieder, Beziehungsgeschrei, aufgewogen von Gelächter aus der Nebenwohnung.
Und frühmorgens, wenn wir alle endlich Schlaf gefunden haben, kommt der Hausmeister und antwortet mit dem Hochdruckreiniger oder dem Rasenmäher.
Letzte Postkarte nach Hyperborea
Ich habe von deinen Fingerspitzen geträumt.
Du kommst langsam wieder zurück in mein Leben.
Wie, das weiß ich nicht. Wann genau, danach habe ich vergessen zu fragen.
Einfach so.
Dritte Postkarte nach Hyperborea
Die Stadt kocht und ich darf nicht fliehen. Ich wäre so gern bei dir am Meer. Dort, wo alles hyggelig ist. Ich kenne die Landschaft nur aus dem Winter. Das pulverige Weiß, je tiefer ins Land, desto mörderischer scheint der Schnee für eine Stadtbewohnerin zu sein. Die Fjorde waren zu Weihnachten nichts als schwarze Kanten und Risse am Ende der Welt.
Ich sehne mich nach Wasser, nach stundenlangem Schwimmen, völlig selbstvergessen. Früher oder später hinge ich dann an deiner Angel.
Argh!
Welche verdammte Schwulette hört bereits seit zwei Stunden nichts anderes als Whitney Huston und das in voller Lautstärke?
Fin
Es ist fast ein herbstliches Gefühl. Immer wieder Vollendung.
Am letzten Wochenende, das mir demonstrierte, dass meine Tochter, das kleine honigblond gelockte Mädchen, längst ein eigenständig denkender Mensch geworden ist. Als eine junge Frau im Abendkleid auf der Bühne stand und eine Laudatio auf ihren Lehrer hielt. Eine Rede, die sie in der Nacht vorher entworfen hatte.
Heute, als wir in Hitze und Schwüle den Transporter ausluden und ich später inmitten von Kisten in ihrer Wohnung saß und begriffen habe: Das, was wir beide gewollt haben ist jetzt wahr geworden. Die junge Frau hat ihren eigenen Raum, ihren eigenen Verantwortungsbereich.
Die junge Löwin springt ins Leben. Ich bleibe zurück. Älter, der Blick in den Spiegel zeigt mir immer öfter eine Frau, die mir fremd ist. Die in mir Erstaunen auslöst. So also sieht das aus, wenn ich alt werde.
Was kommt nach so viel, das endet? Weisheit? Sicher nicht. Gelassenheit? Ja, die spüre ich schon. Klugheit? Da habe ich Zweifel.
Wo ist mein Platz? Wieviel Zeit habe ich noch? Wieviel Möglichkeit? Wieviel Spielraum? Wieviel schaffende Substanz?
Am nächsten Wochenende die nächste Zäsur. Krankenhaus. Abschalten lassen für ein paar Stunden, dann die Maschine wieder hochfahren. Routine eigentlich. Andere lassen das für ein Lifting mit sich machen Ich habe Angst vor den Stunden im Nichts, dem mühseligen Zurückkehren in die Welt und vor den Schmerzen.
Angst vor der Zukunft, aber auch Neugier sind die Grundgefühle.
Zweite Postkarte nach Hyperborea
Die Stadt kocht und gestern schlichen alle voll Trauer nach Hause. Gestern warst du in dem tobenden heißen Saal anwesend, obwohl so weit weg. 10 Tage noch.
Unser Wolkenkuckucksheim leert sich, Staub bleibt zurück. Die Schuld, nicht oft genug dagewesen zu sein, verblasst. Gott sei Dank.
He! Reeespäckt Alta!
Wenn euer größtes Problem selbst mit 50 immer noch heisst: Wie kriegt mann Mädchen resp. Frauen rum? Und wenn die sich dann rumkriegen lassen, weil sie einfach Lust drauf haben. Und ihr danach die Rolle rückwärts macht, weil ihr nix anderes gelernt habt als rumkriegen und alles andere Angst macht.
Dann könnt ich nur böse knurren: Machts euch einfach selber. Und hockt in 10 Jahren schön allein im Altersheim.
Das nur am Rande zu allgemeinen Lage an der Männerfront.
Postkarte nach Hyperborea
Ich stehe in meiner neuen Welt. Noch etwas verwirrt, noch nicht ganz angekommen, aber neugierig.
Was wird die Zeit bringen?
Du spielst mit Fischen, die Wellen flirren, der Nachtwind aber ist kalt. Die Sonne hat sich seit einigen Tagen wieder entschlossen, unterzugehen. Was tust du abends am Feuer mit deinen Brüdern?
Es gäbe eine Reihe von Fragesätzen anzuhängen.
Warum plötzlich? Warum bist du einfach aus der Reihe herausgetreten? Seit wir uns erkannt haben, ist alles anders. Was für eine banale wie tiefgreifende Tatsache.
Haut reibt sich an Haut. Ich fühle mich wohl, wenn ich mich an deine Brust lehnen kann. Du bist erschüttert über eine Berührung und dann. Das Hirn ist noch beschäftigt, Argumente zu produzieren und diese säuberlich auf PRO und CONTRA zu häufen. Die Seele hat inzwischen das Tor geöffnet. Weite entsteht. Ein sanftes Wehen beginnt. Luftaustausch zwischen zwei einst abgeschlossenen Gebieten. Was wird das? Ein kurzer heftiger Sturm? Ein unentschlossener Zug, der in Schwüle stehen bleibt? Turbulenzen? Ist Platz für die gesamte Wetterlage? Für Novembernebel und Schneetreiben?
Zu viele Fragen.
Désir vs. Meinen
Zwei sperrige Wörter.
Französisch-geschmeidig das eine: Begierde, Wunsch – Projektion kommt gratis dazu.
Deutsch sperrig das andere: sich von sich selbst wegwenden, etwas zu anderem, einem Ding, einer Person. Konkret zu diesem, dem anderen.
Zwischen beiden gibt es Brücken. Der Wunsch führt zum Konkreten – im glücklichsten Fall.
Die Begierde wendet sich an den anderen, nicht ins Universum.
Hard stuff.